AP4: Untersuchungen der Beeinträchtigung des Ökosystems durch sprengstofftypische Verbindungen (STV)
Institut für Toxikologie und Pharmakologie der Universität Kiel
Aufbau eines spezifischen Biomonitoring-Programms zur Bewertung der Schadstofffreisetzung aus versenkter Munition und während Delaborierungsaktivitäten. Feldversuche durch das Ausbringen von Muscheln, die integrativ Schadstoffe aufnehmen.
Miesmuscheln sind aktive Wasserfiltrierer und reichern im Wasser enthaltene Schadstoffe in ihrem Gewebe an, sodass über größere Zeiträume selbst sehr niedrige Konzentrationen im Wasser erfasst werden können. Auf diese Weise können Szenarien für den Eintrag dieser Substanzen in die Nahrungskette entwickelt werden. Durch das Ausbringen der Muscheln in den Delaborationsgebieten sowie eine zeitlich gestaffelte (zwischen 2 Wochen und 6 Monaten) Untersuchung der ausgebrachten Muscheln im Labor können rechtzeitig mögliche durch die Delaboration verursachte Umweltschäden erkannt werden. Das Institut für Toxikologie und Pharmakologie für Naturwissenschaftler der Universität Kiel wird im Projekt ein Biomonitoring vor, während und nach der Delaboration mit der Miesmuschel (Mytilus edulis) als Bioindikator durchführen und dabei die Aufnahme von sprengstofftypischen toxischen Verbindungen (u. a. TNT und dessen Metabolite) in die Biosubstanz überwachen. Die toxischen Metalle aus Zündern ‐ Blei und Quecksilber ‐ werden in Zusammenarbeit mit AP3 in Biota analysiert.
Arbeitsziel und Aufgaben
- Ausbringung von Miesmuscheln in verschiedenen Abständen zum Delaborierungsgebiet vor, während und nach der Delaborierung in Absprache mit AP2
- Aufbau einer zuverlässigen Routine‐Analytik zur Detektion von Sprengstoffen und deren Abbauprodukten sowie von toxischen Metallen aus Zündern unter Verwendung der Miesmuschel als Bioindikator
- Analyse von Muschel‐Proben hinsichtlich toxisch relevanter Emissionen der o. a. sprengstofftypischen Verbindungen und ihrer Zersetzungsprodukte
- Ableitung akzeptabler Wasserkontaminationen unter Einbeziehung von Strömungs‐und Verdünnungsfaktoren während der Delaboration
- Abschätzung der Gefährdung von Mensch und Umwelt (Biota)
Das Gesamtziel von AP4 ist die Etablierung eines wissenschaftlich fundierten Langzeit‐Monitoring‐Programms, welches eine umweltschonende Beseitigung im Meer versenkter Kampfmittel begleitet sowie den Schutz des betroffenen Ökosystems in allen Phasen des Projektes sicherstellt.
Ergebnisse
Es ist zum ersten Mal weltweit gelungen in einem Munitionsversenkungsgebiet eine aktives Biomonitoring mit Miesmuscheln zu etablieren und den Nachweis zu erbringen, dass TNT seine Umbauprodukte aus versenkter Kriegs-Munition in Muscheln übergehen.
Dazu wurden in definierten Abstanden rund um einen einem Haufen von ca. 70 Ankertauminen mit Hilfe von Forschungstauchern Verankerungen mit Muschelsäckchen am Meeresboden und in einem Meter Grundhöhe ausgebracht. Eine weitere Verankerung wurde in einem Gebiet installiert, in dem durch gezielte Sprengungen große Mengen Explosivstoffe (Schießwolle) auf dem Meeresgrund verstreut wurden (siehe Abbildungen).
Fig. 1: For our investigations we constructed moorings with two mussel bags at each mooring and placed these moorings adjacent to the corroding mines in Kolberger Heide near Kiel Bay. • Mussels are placed next to the mines in two different water depths • Mussels are recovered several month after deployment
Die Muscheln wurden in zeitlichen Abständen von ungefähr drei Monaten ausgetauscht und im Labor nach Extraktion mittels GC/MS-MS auf ihren Gehalt an sprengstofftypischen Verbindungen analysiert. Die Muscheln, die am Minenhaufen ausgebracht wurden, weisen alle einen Gehalt von bis zu 10 ng/g Muschelgewebe des TNT Umbauproduktes 4-ADNT auf (Appel et al., 2018). In Muscheln, die direkt an freiligender Schießwolle exponiert wurden, konnte neben 4-ADNT auch das Umbauprodukt 2-ADNT sowie 2,4-DA-6-NT (2,4-Diamino-6-nitrotoluol) und sogar unverstoffwechseltes TNT gefunden werden. Der Gesamtgehalt an sprengstofftypischen Verbindungen lag dabei mit ungefähr 300 ng/g Muschelgewebe ca. 30-fach höher als in den Muscheln an der rostenden Kriegsmunition (Strehse et al., 2017).
Sprengstoffe, die in freier Form auf dem Meeresgrund liegen geben somit noch deutlich größere Mengen an toxischen Bestandteilen an die Umgebung ab, als rostende Minen. Es konnte somit der Nachweis erbracht werden, dass TNT und Umbauprodukte aus rostenden Munitionskörpern und freiliegenden Sprengstoffen in die marine Umwelt und somit auch in die Nahrungskette übergehen.
Fig.2: Left: Mussels (Mytilus edulis) were placed at different distances to a mine mound, as indicated by the red dots and collected after about three months. The TNT metabolite 4-amino-2,6-dinitrotoluene (4-ADNT) was detected in mussels in concentrations of 3-8 ng/g (wet weight) at mooring positions 1-6. TNT itself as well as 2-ADNT were not detected. No trend or concentration gradient was observed with respect to distance or mussel placement at 0 m or 1 m above ground. [Exposition December 2016 – March 2017, 92 days] Right: The picture shows the position of a mooring (indicated by a white cross) near a piece of unexploded hexanite lying on the sea floor. Craters caused by controlled detonations during delaboration work in the southern part of the study area are visible in direct vicinity. © M. Kampmeier/Geomar. In addition to 4-ADNT, we were now able to detect TNT itself as well as two other metabolites: 2-ADNT and 2,4-DA-6-NT (2,4-diamino-6-nitrotoluene). Interestingly, we found more than 25 times as many 4-ADNT as in the mussels directly at the mines (moorings 1-6). Summing up the contents of all STVs of mooring 7 results in more than 50 times as much STV as the mussels have on average at moorings 1 - 6.
Publikationen:
D. Appel, J.S. Strehse, H.-J. Martin, E. Maser, „Bioaccumulation of 2,4,6-trinitrotoluene (TNT) and its metabolites leaking from corroded munition in transplanted blue mussels (M. edulis)”, Marine Pollution Bulletin, No. 135, p. 1072 ff., 2018.
J. S. Strehse, D. Appel, C. Geist, H.-J. Martin und E. Maser, „Biomonitoring of 2,4,6-trinitrotoluene and degradation products in the marine environment with transplanted blue mussels (M. edulis),“ Toxicology, Bd. 390, p. 117 ff., 2017.