AP2: Erfassung und Modellierung der küstennahen Strömung und des Wassertransports

IOW Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

Wesentlich für eine fundierte Aussage zur möglichen Ausbreitung von Schadstoffen im Meer und der damit einhergehenden Beeinträchtigung der Umwelt ist eine detaillierte Kenntnis der Strömungsverhältnisse und Sedimentdynamik im Arbeitsgebiet und deren zeitlicher Variabilität. Diese müssen sowohl auf täglichen (Tiden, Sturmereignisse), wöchentlichen (Tiefdruckgebiete, Einströme) als auch jährlichen (Saisonalität) Zeitskalen betrachtet werden. Sowohl für die Ost‐ als auch für die Nordsee gibt es Meeresströmungsmodelle, die im größeren Maßstab anwendbar sind.

Im Bereich der Deutschen Ostseeküste wurden detaillierte Studien durchgeführt z.B. für ökologische Auswirkungen von Kühlwassereinleitungen in den Greifswalder Bodden oder Umwelteinflüsse einer geplanten festen Fehmarnbeltquerung. In den Wattengebieten der Nordsee wurden im BMBF-Projekt PACE umfassende Erfahrungen in der Modellierung der Hydrodynamik und Schwebstoffdynamik  gesammelt. In den letzten Jahren konnte am IOW ein Modellierungssystem für die deutschen Küstengewässer aufgebaut werden, welches das kurzfristige Aufsetzen von realistischen und hochaufgelösten Lokalsimulationen erlaubt und zum Beispiel anhand des großen Ostseeeinstroms vom Dezember 2014 demonstriert werden konnte. Im Rahmen des BMBF-geförderten Verbundsprojektes MOSSCO wird derzeit dieses Modellsystem durch die Ankopplung weiterer Komponenten wie z.B. Sediment‐ oder Seegangsmodule erweitert.

Die mögliche Ausbreitung von Schadstoffen (in diesem Fall Munitionsaltlasten oder Delaborationsprodukte) stellt aber immer noch eine große Herausforderung dar. Ein Themengebiet in AP3 behandelt, wie Schadstoffe transportiert werden: 1) in Lösung oder 2) durch Anlagerung an Schwebstoff (Sande, Schlick, organische Flocken). In dem Fall, dass der Transport in Lösung dominiert (1), wird der Schadstofftransport stark durch den Residualtransport und somit die ästuarine Zirkulation beeinflusst, ein Oberflächentransport in Richtung Meer und eine bodennahe Strömung in Richtung der Küste. Vor allem diese bodennahe, küstengerichtete Strömung stellt eine Herausforderung für die Delaborationsarbeiten dar, da mögliche Schadstoffe in Richtung der Strände transportiert werden können. Obwohl Schadstoffe in der gelösten Phase eine hohe Transportreichweite aufweisen können, werden diese im Laufe der Zeit verdünnt. Sollte der Schadstofftransport zu einem Großteil durch Anlagerung an anorganischen Schwebstoff dominiert werden, kommt der Wechselwirkung von Strömung und Wellen eine entscheidende Bedeutung zu. Nur die welleninduzierte Bodenschubspannung ermöglicht es, dass Sande aus dem Sediment gelöst werden und somit in die Wassersäule gelangen.

Je nach Schwebstofffraktion kann es zu verschiedenen Umverteilungsmustern kommen. Da größere Schwebstofffraktionen ein schnelles Aussinken aufweisen, werden diese nur lokal umverteilt. Sollte die Anlagerung vor allem an Schlickpartikeln stattfinden, können jedoch hohe Transportreichweiten erreicht werden, da die Aufenthaltszeit von Schlick in der Wassersäule mehrere Tage betragen kann. Hervorzuheben ist, dass es bei direkter Anlagerung an Schwebstoffe nur zu einer geringen Verdünnung kommt. Somit setzt der Transport von chemischen Schadstoffen ein gutes Verständnis des Schwebstofftransportes voraus.

Die Abbildung (siehe oben) zeigt ein Beispiel von Modellergebnissen mit dem physikalischen Modell GETM und einem passiven Tracer, der im Sperrgebiet “Kolberger Heide” (rote gestrichelte Linie) im bodennahem Wasser kontinuierlich entlassen wird und das Freisetzen von STVs simuliert. STVs können sowohl ostwärts entlang der Küste transportiert werden (Februar 2006) oder dringen westwärts bis in die Kieler Förde ein (September 2006). Überlagerte Pfeile zeigen die mittlere Windrichtung zu den beiden Zeitpunkten.

Arbeitsziel und Aufgaben

Um die Schadstoffausbreitung zu untersuchen, soll eine Kombination aus Feldmessungen und Modellierarbeiten eingesetzt werden. Je Untersuchungsgebiet soll ein profilierender Meeresströmungssensor über lange Zeiträume (1/4 Jahr bis 1/2 Jahr) abgesetzt werden. Parallel werden während dieser Feldarbeiten physikalische Untersuchungen in der Wassersäule erfolgen (Messung von Temperatur, Salzgehalt und Schwebstoffkonzentration). Noch während der Feldarbeiten (Wartungsarbeiten) werden die Daten ausgelesen und die Messsysteme wieder verankert, um einen weitgehend ungestörten Datensatz zu erhalten. Die Daten sollen in, am IOW mitentwickelte, hochaufgelöste Strömungsmodelle der Untersuchungsgebiete eingepflegt werden (Purkiani et al., 2015; Gräwe et al., 2013), um das lokale Strömungsverhalten und damit die Ausbreitung chemischer Schadstoffe und die mögliche Beeinflussung unterschiedlicher Habitate besser simulieren zu können.

Die in AP1 erzeugten Bodenkarten werden in Karten von morphologischen Veränderungen konvertiert. Diese werden zusätzlich genutzt, um die morphologischen Rekonstruktionen des Modellsystems zu validieren und seine Vorhersagekraft zu evaluieren. Die Modellierung soll zusätzlich die Planung der Beprobung in AP3 unterstützen. Um die Verbreitung möglicher chemischer Schadstoffe während der Delaborationsarbeiten zu untersuchen, müssen gezielt Wasser‐ und Bodenproben genommen werden. Diese Proben müssen im Einstrom‐ und Ausstrombereich der Delaborationsarbeiten platziert werden. Um auf mögliche Anwendungen in der Nordsee vorbereitet zu sein, soll der Einfluss der Gezeiten auf die Schadstoff‐Ausbreitung im Vorfeld der Delaborationsarbeiten mit Hilfe von Modellszenarien abgeschätzt werden. Hierbei kann die Partikelfreisetzung aus einer Punktquelle simuliert werden (in UDEMM die Verdriftung von Schadstoffen). Um die Partikelpositionen zu berechnen, kommt ein am IOW weiterentwickeltes 3D-Partikel‐Tracking‐Tool zum Einsatz (Gräwe und Wolff, 2010). Hiermit sind sowohl Vorwärts‐ als auch Rückwärts‐Simulationen möglich.

Vor allem die Rückwärts‐Simulationen können neue Einsichten in den Schadstofftransport generieren. Sie ermöglichen es bei erfolgreicher Detektion von Schadstoffen, die Quelle zu identifizieren. Es ist geplant, im Vorfeld der Delaborationsarbeiten Modellrechnungen für einen Zeitraum von 1‐2 Jahren durchzuführen. Diese Szenarien sollen dann nach Transportrichtung und Stärke katalogisiert werden. Anhand dieser Szenarien kann eine optimierte Probenahmestrategie für AP3 und AP4 entwickelt werden.

Ergebnisse

Bitte sehen Sie sich die Ergebnisse auf der englischsprachigen Seite an: https://udemm.geomar.de/en/ap2-modells

 

 

Purkiani, K., J. Becherer, G. Flöser, U. Gräwe, V. Mohrholz, H. M. Schuttelaars and H. Burchard (2015). Numerical analysis of stratification and destratification processes in a tidally energetic inlet with an ebb tidal delta. J. Geophys. Res. Oceans 120: 225-243, doi: 10.1002/2014JC010325

Gräwe, U., R. Friedland and H. Burchard (2013). The future of the western Baltic Sea: two possible scenarios. Ocean dyn. 63: 901-921, doi:10.1007/s10236-013-0634-0

Gräwe, U, Wolff, J-O, Ribbe, J,  Impact of Climate Variability on an East Australian Bay Estuarine, Coastal and Shelf Science, Vol. 86(2), 247-257, doi:10.1016/j.ecss.2009.11.020